Kunsthandwerk in Hamburg

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Ein Mekka der angewandten Kunst

40 Jahre Galerie Hilde LEISS

Sie ist eine Hamburger Institution – mit internationaler Strahlkraft. Hilde Leiss hat am Großen Burstah 38 ein Mekka angewandter Kunst geschaffen, das in seiner inspirierenden Atmosphäre wohl einmalig ist. Am 12. September feiert die renommierte Goldschmiedin und Galeristin ihr Berufsjubiläum mit einer exorbitanten Schau von über 20 Künstler*innen: 40 Jahre Galerie Hilde Leiss.

 

Wer die schönen, hohen Räume in einem der ältesten noch erhaltenen Kontorhäuser der Stadt zum ersten Mal betritt, dem gehen die Augen über: Vitrine an Vitrine voller herrlicher, überaus hochwertiger Schmuckstücke aus Gold, Silber und funkelnder Edelsteinen. Auf den Tischen ist das Angebot noch opulenter. Sie scheinen sich förmlich zu biegen unter der Last exquisiter Objekte, ausgefallenem Mode- und avantgardistischem Autorenschmuck aus Horn, Holz, Leder, Textil, Papier, Plexiglas oder Perlmutt. Stammkunden und -kundinnen kennen selbstredend das breitgefächerte Angebot dieser Produzentengalerie, deren Werkstatt sich im hinteren Teil hinter einer Trennwand verbirgt, die sich jedoch längst nicht mehr auf Schmuck allein konzentriert. Hier findet frau alles, was das Herz begehrt, Glas, Keramik, Mode – und seit 2015 sogar zeitgenössische Bildende Kunst. Bei Hilde Leiss vergisst man leicht Zeit und Raum, taucht förmlich ein in die Welt schöner Dinge – und schafft es sehr, wirklich sehr selten, die Galerie ohne ein kleines oder größeres Päckchen zu verlassen.

Kunstgalerie Leiss2015 übernahm Hilde Leiss die benachbarte Galerie Rose und zeigt seitdem auch zeitgenössische freie Kunst. Im Hintergrund Grafiken von Karl von Grafenstein.

„Ich will Schmuck zeigen, den man in Hamburg noch nicht gesehen hat“. Das hatte sich die junge Goldschmiedin auf die Fahnen geschrieben, als sie die Liebe 1979 in die Hansestadt verschlug. Und sie ist sich treu geblieben, überrascht auch nach 40 Jahren noch mit neuen, spannenden Künstlerinnen und Künstlern.
Der aus Vietnam stammende Sam Tho Duong, dessen fantastischen, vegetativ-wuchernden Gebilde aus winzigen Reiskornperlen die Schönheit von Unterwasserlandschaften feiern, die ebenfalls von der Natur inspirierte Engländerin Jacqueline Ryan oder der von Miro und anderen Klassikern der Moderne beeinflusste Spanier Ramon Puig Cuyas sind nur drei von zahlreichen Schmuckkünstler*innen, die Hilde Leiss erstmals in Hamburg vorstellte und die nicht selten von hier aus ihre internationale Karriere starteten. Einer ihrer größten Entdeckungen war beispielsweise der Drechsler Ernst Gamperl, dessen Ausstellung in der Galerie Leiss den Beginn einer sagenhaften internationalen Karriere markierte. In jüngster Zeit kamen u.a. der patagonische Silberschmied Emiliano Céliz und Zizipho Poswa aus Kampstadt hinzu, deren ungewöhnlich farbenprächtigen Gefäße ebenfalls internationales Publikum finden.

Bei all ihren Entdeckungen hat die Galeristin, die kürzlich ihren 70. Geburtstag feierte, stets ihrem untrüglichen Gespür für Qualität und Originalität vertraut. Sie verkauft nur Dinge, die ihr persönlich Hundertprozent gefallen, mit denen sie sich auch selbst gerne schmückt. Das sind naturgemäß nicht unbedingt die günstigsten Objekte, doch auch in Punkto Finanzen hat Hilde Leiss ihre eigene Philosophie. „Ich habe selbst immer gekauft, wenn ich kein Geld hatte“, erzählt sie lachend. „Ich musste meine Lieblingsstücke oft abstottert“. Diese Vergünstigung gewährt sie auch ihren Stammkund*innen, schließlich haben Unikate der internationalen Schmuck-Elite ihren Preis. Allerdings, das gibt die Galeristin unumwunden zu, habe sich das Verhältnis zum Schmuck in den vergangenen Jahren doch merklich geändert: „Vor 30 Jahren, in den 90er Jahren, wurde deutlich mehr Geld für experimentelle Sachen als heute ausgegeben.“ Insofern spiegele sich auch der Zeitgeist in der angewandten Kunst. Eine Zäsur sei der 11. September 2001 gewesen, „da standen die Menschen unter Schock. Da wurde erstmal überhaupt nicht gekauft“. Gott sei Dank nur für kurze Zeit. Der renommierte Karl-Schneider-Preis, den sie im Spätherbst 2001 im Museum für Kunst und Gewerbe verliehen bekam (den höchsten Preis für angewandte Kunst, den Hamburg zu vergeben hat), bescherte ihr dann doch ein fulminantes Weihnachtsgeschäft.

Heute, da nicht nur Flüchtlingsströme, sondern auch Kriegstreiberei in Ost und West die Menschen verunsichern, wird „wieder verstärkt in Gold investiert“. Und noch zwei Trends seien erkennbar: „Die Leute mögen es wieder klein und fein. Und eher konventionell“. Eine Entwicklung, die Hilde Leiss doch mit einiger Verwunderung zur Kenntnis nimmt: „Da kommen junge Mädchen in die Galerie und möchten genauso einen Ring, wie ihn die Freundin auch trägt. Das ist so ziemlich das Gegenteil von dem, was wir früher wollten. Wir wollten nichts Uniformiertes“.
Mit „früher“ meint die Künstlerin und Galeristin die 60er und 70er Jahre. Die Zeit in Amerika, als ihre Freunde zum Woodstock-Festival fuhren und sie, mehr zum Zeitvertreib, ihre erste Kollektion entwarf: Typischen Hippie-Schmuck aus Glasperlen und kunstvoll geflochtenen Lederbändchen, den Schüler und Studenten für kleines Geld erwarben. Vielleicht aber war der Schmuck doch nicht so typisch, denn die Nachfrage nahm stätig zu – bis irgendwann klar war, wohin der Weg führte.

Im Rückblick erinnert dieser Weg ein wenig an den Mythos vom Tellerwäscher im Land der ungeahnten Möglichkeiten. Nur, dass dieses Land Deutschland hieß und Hilde Leiss in ihrem „ersten Leben“ nicht Tellerwäscherin, sondern Köchin war. Eine exzellente übrigens, ihre Galerie-Feste sind legendär. Der Vater Gärtner in Walsrode, sie selbst das älteste von vier Geschwistern, war schon als Kind voller Kreativität. Doch nach dem Hauptschulabschluss musste sie erstmal „was Anständiges“ lernen. Köchin also. Die Lehre verlief zwar erfolgreich, doch zufrieden war die damals 17jährige nicht: „Es war die Zeit der großen, künstlerischen Buffets. Doch als Köchin futtern sie dir die Kunstwerke sofort weg. Ich wollte aber, dass die Leute etwas Bleibendes von mir bekommen“.

Und noch etwas wollte die attraktive junge Frau Ende der 1960er Jahre: Reisen. Andere Kulturen erleben. Andere Sprachen lernen. Erst ein paar Monate England, dann ein paar Monate Spanien, schließlich die USA. Sie bringt sich durch, wie man so sagt, arbeitet in verschiedenen Hotels, modelt ein bisschen – und macht nebenbei Schmuck. Irgendwann steht dann der Entschluss: Goldschmiedelehre in Pforzheim. Und Abendschule, sie will ja nicht „doof“ bleiben. Die weiteren Stationen: 1974 Gesellenprüfung, 1979 Meisterprüfung, Umzug nach Hamburg, wo sie mit Gudrun Flügge in der Ottensener Galerie „SchmuckSchmiede“ zusammenarbeitet. 1981 dann Umzug in das Haus für Kunst und Handwerk, Koppel 66, und Werkstattgemeinschaft mit der Goldschmiedin Gudrun Maaß. In diese Zeit fällt auch der Eintritt in die Arbeitsgemeinschaft des Kunsthandwerks Hamburg (zusammen mit Maaß), der sie bis heute treu geblieben ist. Und nicht nur das: In ihrer Galerie am Großen Burstah, in die Hilde Leiss ab 1988 ihre ganze Kraft, ihr ganzes Herzblut steckte, vertritt sie heute zahlreiche AdK-Kollegen, unter ihnen Ula Dahm und Ulrike Isensee (Textil), Kathrin Heinicke (Schmuck/Gerät), Brigitte Morck (Keramik) und Kira Kotliar (Papier).

Galerie und Werkstatt LeissBlick in Galerie und Werkstatt Hilde LEISS.

Wenn man sie fragt, wie sie das alles schaffe, die permanenten Ausstellungen, die ständigen Reisen nach London, Paris oder Mailand, auf der Suche nach jungen, außergewöhnlichen Schmuckkünstlern und den schönsten Steinen weit und breit? Wie sie das ständige Bangen um Finanzierung der Galerie und ihrer sieben Mitarbeiter aushalte, dann lacht sie erst einmal laut auf. „Ich mache einfach. Mit dem tiefen Sicherheitsbedürfnis, das viele haben, wäre das sicher nicht möglich. Ich bin vielleicht etwas unrealistisch. Oder idealistisch. Und ich habe diese Ruhe in mir. Das Selbstvertrauen, dass ich gute Arbeit leiste. Ich bekomme auch viel von meinen Kunden zurück“.

Und noch etwas, davon ist die Galeristin und Schmuckkünstlerin überzeugt, helfe ihr mache Herausforderung zu meistern: „Der Schmuck gibt Kraft“. Man muss nicht der Esoterik anhängen, um das nachzuvollziehen: Ihre eigenen Kreationen, imposante Klunker aus Silber und Bergkristall, Ketten aus stilisierten Kapseln und Blättern, erinnern an Rüstungselemente. Damit ist auch die Meisterin selbst bestens gewappnet für das anstehende Jubiläum: Die Feier am 12. September, ein öffentlicher Empfang, gekoppelt mit einer Ausstellungseröffnung von 20 Wegbereiter*innen. „Die ganze Galerie wird dafür auf den Kopf gestellt“, erzählt sie gutgelaunt. „Der helle Wahnsinn!“

Blick in die Galerie LeissBlick in Galerie und Werkstatt Hilde LEISS.

Doch wie ist es um das Kunsthandwerk im Allgemeinen bestellt? Was, wenn dieser international renommierte Ort für angewandte Kunst einmal nicht mehr existieren sollte? Bei dieser Frage wird die Powerfrau ernst. „Fast überall auf der Welt wird angewandte Kunst mehr wertgeschätzt als in Deutschland, insbesondere in Norddeutschland. „Wenn die Stadt Hamburg angewandte Kunst nicht endlich auch als Kunst begreift und strukturell fördert, sehe ich schwarz“.


„40 Jahre Galerie Hilde Leiss“
Eröffnung am 12. September 2019, 19 Uhr.
Es spricht Rüdiger Joppien, Großer Burstah 38.
Ausstellung bis 19.10.2019, Mo – Fr 10-19 Uhr, Sa 10- 18 Uhr.
Es erscheint ein Katalog

 

 

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