Kunsthandwerk in Hamburg

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Kunsthandwerk ist wieder hip – die MK&G Messe 2022

Überaus farbenfroh und exquisit, so präsentiert sich die MK&G Messe 2022 am Steintorplatz. Tulga Beyerle, die Direktorin des Hamburger Museums für Kunst & Gewerbe, will erklärtermaßen das Kunsthandwerk in ihrem Haus wieder in den Vordergrund stellen. Kein Zufall also, dass die neue Ausstellungsreihe „Contemporary Craft“ gleichzeitig mit der Messe eröffnet wurde.

 


Man traut seinen Ohren kaum: Das „Kunsthandwerk“ ist im MK&G wieder angesagt, aufgeladen mit einem ganz neuen Zauber. Wie oft wurde über dieses Wort debattiert, wie viele Jahre galt es als verstaubt und antiquiert. Nun spricht MK&G-Direktorin Tulga Beyerle mit einem Mal voller Begeisterung und strahlenden Augen von dem „enormen Wert des Kunsthandwerks“, das doch gerade in Krisenzeiten wie diesen für Nachhaltigkeit und Zeitlosigkeit steht und ob seiner Qualität die Generationen überdauert.

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Blick in die MK&G-Messe. Foto: Andreas Weiss

Kein Zweifel, Kunsthandwerk ist wieder en vogue – und hat mit Young-Jae Lee wohl eine der stärksten, kämpferischsten Stimme der zeitgenössischen Szene: „Ich bin Töpferin“, sagt die international renommierte Keramikerin mit Nachdruck, „keine Künstlerin. Hat nicht Beuys gesagt, jeder Mensch ist ein Künstler? Eben. Künstler kann jeder, töpfern nicht!“

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Das neue Farbkonzept der MK&G-messe. Fotos: Isabelle Hofmann

Die in Seoul geborene und seit 1972 in Deutschland lebende Kunsthandwerkerin war in den 1990er Jahren schon einmal zu Gast im MK&G. Nun machen ihre Arbeiten den Auftakt der von Erika Pinner kuratierten neuen Ausstellungsreihe „Contemporary Craft“. Einen Auftakt, der staunend macht: Zwei große Räume in der Belle Etage voller Vasen und Schalen. Einmal ausschließlich Schalen, raumfüllend auf dem Boden platziert, im zweiten Raum hochwandige Gefäße in Augenhöhe auf riesigen, treppenförmig gestuften Podesten. Insgesamt rund 600 Stücke, die als raumgreifende Installationen in ihrem Purismus eine enorme ästhetische Kraft entfalten.

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Young-Jae Lee Raum im MK&G. Fotos: Isabelle Hofmann

„Masse ist Macht“, erklärt die Leiterin der historischen Keramischen Werkstatt Margaretenhöhe (KWM) in Essen augenzwinkernd und in Anlehnung an Elias Canettis philosophisches Hauptwerk „Masse und Macht“, eines ihrer Lieblingsbücher, wie sie sagt. Herzerfrischend, mit welchem Stolz sich die 71jährige als Handwerks-Meisterin vorstellt, von der selbsterwählten Begrenzung (auf die Drehscheibe) erzählt, in der sie ihre Freiheit findet. Und von einer Begegnung mit Gerhard Richter, dem sie zur Begrüßung entgegenrief: „Hier ist die Töpferin“, worauf dieser erwiderte: „Und hier ist der Maler“. Was für ein Unsinn, sagt Young-Jae Lee, dass ein Bild, „bloß, weil es an der Wand hängt für Kunst erklärt wird“. Und eine Keramik, „bloß, weil man sie benutzen kann“, nicht.

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Young-Jae Lee in ihrem Atelier. Foto: Haydar Koyupinar

Doch diese Auffassung scheint sich wirklich langsam zu ändern. Die hervorragend inszenierte Messe 2022 ist der beste Beweis. Als erstes fällt das neue Farbkonzept ins Auge: Die gesamte Belle Etage wird konzentriert mit rund 50 Aussteller*innen bespielt (fast wie früher), doch nun sind die einzelnen Räume unterschiedlich farbig gestaltet, lachsrot, grün, blau. Allein diese Farbgebung bringt schon eine Menge von dem „frischen Wind“, den man sich jahrelang für die Messe wünschte. Aber auch unter den rund 50 Aussteller*innen - die gefühlte Hälfte Keramiker*innen – nehmen Nachwuchspositionen deutlich mehr Raum ein. Das liegt vor allem an dem (nicht mehr ganz) neuen Nachwuchs-Förderprogramm. In den vergangenen Jahren wurden schon mehrfach Studierenden der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften ein Forum auf der Messe geboten, unter anderen den Textildesignerinnen Samira Heidari Nami und Anna Husemann. Doch sie waren immer am Rande, abseits vom Rampenlicht präsentiert.

Die fünf „Young Talents“, die in diesem Jahr (unabhängig vom jurierten Bewerbungsverfahren) nach Hamburg eingeladen wurden, sind jetzt nicht nur prominent platziert (kostenlos, wohlgemerkt), sondern erhielten sogar finanzielle Unterstützung für Produktion und Transportkosten.

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Foto: Isabelle Hofmann

Ob es tatsächlich eine Investition in die Zukunft ist, wird sich weisen. Vielversprechend sind die fünf allemal: Der französische Keramiker Abel Jallais verblüfft mit Fantasieobjekten in industriell anmutender Formensprache, während die Vasenobjekte aus Glas und Plexiglas des tschechischen Glaskünstlers Vlastimil Senkyr bizarr-amorphen Gesteinsformationen nachempfunden scheinen. Auch die drei Textildesignerinnen, Leonie Burkhardt (Deutschland), Emma Terweduwe (Belgien) und Jamila Wallentin (Frankreich) zeigen spannende Objekte, raffinierte Textilskulpturen, farbenfrohe Textil-„Kegel“ und wellenartig geschwungene „Nester“ aus naturweißen Baumwollbändern, die an Verbandsmaterial erinnern. Aber auch die arrivierten Kunsthandwerker*innen versetzen die Betrachter ins Staunen: So kreiert Laurenz Stockner (Metall) aus Südtirol weich-wabernde superdünne Schalen, die an Seifenblasen erinnern, aus Kupferschlamm. Unvorstellbar, so etwas muss man mit eigenen Augen gesehen haben.

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Laurenz Stockner: Kupferschalen. Foto: Jürgen Eheim

Der renommierte Justus Brinckmann Preis 2022 (7.500 Euro) ging in diesem Jahr an die Rheinsberger Keramikerin Aino Nebel. Begründung der Jury: „Aino Nebel ist eine Keramikkünstlerin von internationaler Strahlkraft. Ihr Werk stellt eine einzigartige Verbindung aus handwerklicher Meisterschaft mit poetischer Kunstfertigkeit dar. Ihre Gefäße brennt sie im Holzfeuer und erzeugt Unikate mit außergewöhnlicher Oberfläche und Farbigkeit. Ihre Keramiken scheinen aus einer anderen Welt, voller Zauber und urzeitlicher Anmutung. Sie hebt ihre Keramikkunst mit dem Spiel aus bewusstem Zufall und künstlerischer Absicht in eine neue Sphäre.“

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Brautschmuck von Aino Nebel. Foto: Aino Nebel

Den Justus Brinkmann Förderpreis erhielt die zwischen Wien und Taipei pendelnde Taiwanerin Jiun-You Ou. Die Jury lobte „den unkonventionellen und höchst experimentierfreudigen“ Umgang mit Material und Form. Die vielseitige Schmuckdesignerin zeigt auf der Messe geometrisch-puristische Schmuckobjekte aus schwarzem Tintenstein – ein Material, das traditionell für die Tintengefäße der Kalligrafie verwandt wird.

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Arbeiten von Hendrike Farenholtz. Foto: Isabelle Hofmann

Die Teilnehmer*innen aus Norddeutschland, allesamt organisiert in der AdK Hamburg (Arbeitsgemeinschaft des Kunsthandwerks), präsentieren sich in dieser Leistungsschau des internationalen Kunsthandwerks übrigens ganz ausgezeichnet: Anne Andersson (Textil), Hendrike Farenholtz (Holz), Babette von Dohnanyi (Schmuck), Wolfgang Skoluda (Schmuck) und Jan Wege (Metall) muss man den Freunden der Hamburger Messe nicht mehr vorstellen. Sie beweisen seit Jahren, in welchem Facettenreichtum höchste gestalterische und handwerkliche Qualität in Hamburg zu Hause ist.


MK&G Messe 2022, bis 27.11.2022, Museum für Kunst & Gewerbe Hamburg, Steintorplatz, 20099 Hamburg.
Geöffnet: 10-18 Uhr, Do 10-21 Uhr. Eintritt 12 €, erm. 8 €.

Nähere Informationen zur Preisträgerin unter: www.ainonebel.de
Nähere Informationen zur Förder-Preisträgerin unter: www.oujiunyou.com


„Contemporary Craft – Young-Jae Lee“, bis 23.4.2023

Header-Abbildung: Key Visual. Copyright: Cecile Feilchenfeldt

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Arbeitsgemeinschaft des Kunsthandwerks Hamburg e. V. (AdK)
c/o Justus Brinckmann Gesellschaft e.V.
Steintorplatz 1, 20099 Hamburg
Tel.: +49 (0)40 2452 91

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